Große Meisterwerke erkennt man an zwei Merkmalen: Einerseits, dass sie genau den Zeitgeist treffen, andererseits dass sie ihrer Zeit voraus sind. Als Batman 1939 erfunden wurde, traf er genau den Zeitgeist – und erwies sich später als zeitlos. Doch als er 1986 neu erfunden wurde, stieß das nicht nur auf Begeisterung.
Batman: Year One – von Frank Miller, David Mazzuchelli und Richmond Lewis – war zum einen ein Zurück zum Ursprung, zum anderen radikal anders als sonstige Comics. Es war anders geschrieben, sah anders aus, die Story und Charakterisierung waren realistischer, die Zeichnungen aufs Wesentliche reduziert. Das war kein Bodybuilder-Batman, sondern eher ein durchtrainierter Mann in einem bizarren Kostüm, verankert in einer Welt, die der Wirklichkeit sehr ähnelt, ebenso wie die Gesichter an echte Menschen erinnern.
Dieser Bruce Wayne weiß noch nicht, welchen Weg er gehen soll, macht Fehler, findet sich selbst – und zugleich einen Freund in seinem Gegner James Gordon, der sich anfangs ebenso schwer tut, sich in der korrupten Polizei von Gotham zu etablieren. Statt gegen Superschurken wie den Joker kämpfen die beiden gegen ganz normale Leute: die furchtbare Stadt selbst.
Miller schreibt zu Beginn, er adaptiere das Werk von Bob Kane, Bill Finger und Jerry Robinson, Mazzucchelli sagte im Interview mit Amazing Heroes (#102, 1986), er habe sich an den frühesten Batman-Zeichnungen orientiert. Daher ist nicht nur der Stil deutlich düsterer, auch das Kostüm ist wieder schwarz und grau statt blau, das gelbe Oval von der Brust verschwunden.
Auch wenn Batmans Origin gar nicht groß angetastet wurde, sondern vielmehr alte Tugenden gepflegt und ausgebaut wurden: In vielerlei Hinsicht untergub Year One die Erwartungen an einen Batman-Comic. Hier war Schluss mit der knallbunten Superhelden-Welt. Das war keine leichte, eskapistische Kost. Das war zwar schon das kurz zuvor erschienene The Dark Knight Returns auch nicht, aber hier brach das neue Konzept in die Tradition der fortlaufenden Batman-Serie ein, die 1940 begonnen hatte.
Blasphemie, Beleidigung, Müll, Reinfall
Kurz gesagt: Die einen liebten, die anderen hassten es. Einige Leser fühlten sich davon im besten Sinne an den Batman von 1939 erinnert, andere an Adam West, wie es in Leserbriefen heißt (als Nachdruck nachzulesen in der Absolute Edition). Einer spricht von Blasphemie, es sei unnötig, einen so etablierten Origin zu verändern, es ist ihm zu experimentell. Einer fand die Zeichnungen „grauenhaft“ (atrocious): „You should be ashamed of yourself for releasing such trash.“ Selbst „Hägar der Schreckliche“ sei besser gezeichnet (siehe Batman #408). Ein anderer (Batman #409) findet die Zeichnungen „horrible“, das Skript bestenfalls mittelmäßig, allerdings ohne das genauer auszuführen.
Nach dem Erscheinen aller vier Teile bilanziert ein 18-jähriger Batman-Fan aus Wilmington (North Carolina): „The Year One stuff has been a complete and dismal failure, but more importantly, it was the biggest insult to the Batman since the TV show of the sixties which, in fact, looks like a classic in comparison.“ Er stört sich um ultra-militaristischen Charakter von Batman („Rambo“) und Gordon, besonders aber, dass Catwoman eine Prostituierte ist. Frank Miller habe Batman ruiniert, die Zeichnungen seien „terrible“, nicht mal Batmans Gürtel gefällt ihm. Am Ende schreit er: „NO MORE HACKS DESTROYING THE BATMAN! IS NOTHING SACRED?“
DC Comics
Batman als unantastbares Heiligtum, verunstaltet von Stümpern? Andere sind in ihrer Kritik differenzierter: Einer vermisst Subtilität und entdeckt hier zu seinem Bedauern denselben Zynismus wie in The Dark Knight Returns, ebenso wie den Militärjargon („reconnaissance missions“, „enemy camps“), der nicht zu Bruce Wayne passe. Tatsächlich hatte auch Dark Knight eine Tendenz dazu, Bruce Wayne nannte Robin einen „good soldier“, allerdings wird in Year One die Haudrauf-Mentalität angeprangert, wenn das Spezialkommando der Polizei ein Gebäude in die Luft jagt, um an Batman zu erwischen, und dabei tote Obdachlose in Kauf nimmt.
Anaconda-Gift und Tollwut-Impfung
Von einigen kritischen Lesern lernt man auch, dass eine Anaconda keine Giftschlange ist (Batman verwendet ihr angebliches Gift in #406, S. 11) und eine Tollwut-Impfung nicht ins Gesäß, sondern in den Bauch verabreicht wird (vgl. S. 16, übrigens: in Riddler: Year One wird es richtig dargestellt). Auch ein Autor wie Frank Miller war in seiner Hoch-Zeit nicht perfekt.
Doch viele Leser preisen das Werk: Batman sei endlich so, wie er ursprünglich gemeint gewesen sei, heißt es. Sowohl für Miller als auch für Mazzucchelli gibt es viel Lob, ebenso für die Farben von Lewis. Einer, der Year One schon nach dem ersten Teil ein „masterpiece“ nennt, findet auch, es werde mit jedem Lesen besser. (Das stimmt.) Manche hat es wieder für Batman begeistert, andere überhaupt für Comics. „Bob Kane would be proud of what you have done to the Batman“, heißt es am Ende von Batman #409.
Year One als Fluch
Auch wenn Geschmäcker verschieden sind: Heute kann man über die Aufregung nur lachen. Längst gilt Year One als Meilenstein (nicht nur für Batman, sondern auch der Comic-Geschichte überhaupt) und als prägend bis heute – ein Goldstandard für Batman- und Superheldencomics. Doch der Ruhm hat eine Kehrseite: Heute erweist sich dieser Klassikerstatus als Fluch. Denn immer noch arbeiten sich viele Autoren und Zeichner daran ab – zu viele. Gab es in den 80ern noch Versuche, mit Year Two und Year Three an den Erfolg anzuknüpfen, wurden in den 90ern immer wieder Origin-Storys aus dieser Anfangszeit erzählt.
DC Comics
Es gab „Year Ones“ für Robin, Batgirl, Nightwing, Scarecrow, Poison Ivy, Riddler (sogar zwei), Superman und für Gotham City, bald bekommt auch der Joker eins. 2013 erschufen Scott Snyder und Greg Capullo ein Zero Year, das sich als Anti-Year-One verstand und generell wird man nie müde, von Bruce Waynes Anfangszeit zu erzählen, wie zuletzt in The Knight. Ganz zu schweigen, von den unzähligen wörtlichen und stilistischen Zitaten, die immer wieder in Comics auftauchen. Dauer-Recycling ist ebenso üblich wie Easter-Egg-Suche, nur dass Year One längst totzitiert ist – obwohl es selbst ein Zitat ist (Detective Comics #33).
„Year One“ ist längst kein Comic mehr, sondern ein Monolith, in dessen Schatten – neben Dark Knight und The Killing Joke – alles andere zu stehen scheint, weil man meint, diesen Standard immer wieder aufs Neue erfüllen zu müssen. Gleichzeitig dient es als verkaufsförderndes Label für alles Mögliche und wird dadurch immer weiter ausgehöhlt. Dabei sollte diese Interpretation einst ein frischer Neuanfang sein. Es wäre zu wünschen, dass sich die Autoren und Künstler von heute den Mut entwickeln, sich davon zu lösen und etwas ähnlich Innovatives zu erschaffen. Ein neues Year One, das kein Year One ist, sondern etwas ganz anderes. Das ist natürlich schwierig – und es wird mit jedem Jahr schwieriger. Was umso mehr zeigt, was für eine Leistung in diesen vier Heften von 1986/1987 steckt.
- Batman 1980-1989
- David Mazzucchelli’s Batman Year One Artist’s Edition
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